Texte | Prof. Dr. Michael Schwarz | Kunsthistoriker

 

                                                                                                                                                                    « zurück

Michael Schwarz
Regine Schumann – Das Werk im Kontext


Es ist nicht die Regel, aber oft finden sich in einem künstlerischen Werk
Arbeiten, die herausragen, weil in ihnen das Neue auf eine ebenso
komplexe wie sinnfällige Weise zur Anschauung kommt. Rückblickend
erscheinen dann andere Arbeiten als notwendige Experimente einer
künstlerischen Forschung, die eigenständig, oft sogar radikaler diese chefs-
d’œuvre vorbereitet und damit erst möglich gemacht haben. Gelegentlich
stehen diese Werke auch am Anfang einer Entwicklung, einer Werkgruppe
oder eines neuen Ansatzes in der Werkfolge und nehmen spätere
Entwicklungen vorweg. Eine solche Arbeit avant la lettre war “Godet” von
1992, denn sie markiert im Gesamtwerk von Regine Schumann den
“Ausstieg aus dem Bild”. “Der Einbezug bildhauerischer Prinzipien wie
Hängen, Legen, Arrangieren, Verspannen und Umhüllen ist charakteristisch
für die Arbeit Regine Schumanns und führt das Denken in Farben und
Farbräumen in eine räumlich erfahrbare Plastizität” – interessanterweise
mit der Farbe Schwarz, die in dem verwendeten Material zwar lichte
Schatten und (im Gegenlicht) dunkles Schwarz dafür aber ein Objekt im
Raum erscheinen lässt, also zum ersten Mal in der Werkentwicklung den
Raum thematisiert. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen, vor
allem für den Betrachter. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das gemalte Bild
den Betrachter auf eine bestimmte Distanz verpflichtet, auf einen Standort
vor dem Bild, von dem aus dieses in seiner farbräumlichen Wirkung zu
erleben war. “Godet” und alle später entstandenen Arbeiten setzen einen
Betrachter voraus, der sich bewegt und aus unterschiedlichen Perspektiven
das Werk erkundet. Heute begründet Regine Schumann diesen Schritt mit
dem Hinweis auf die sinnliche Qualität der Materialien, die in eine Form
gebracht und in einem Prozess der Verkörperung dem Betrachter entgegen
gestellt werden. Aber noch fehlte die Farbe, die für Regine Schumann bis
zu diesem Zeitpunkt von zentraler Bedeutung war, weil sie die emotionale,
sinnliche Wirkung ihrer Arbeiten getragen hatte.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber schon die Avantgarden der 20er
Jahre beschrieben eine Zukunft der Malerei ohne Malerei. “Medium dieser
neuen Kunst wird das Licht sein, die Farbe in ihrer reinsten und intensivsten
Form.” Die Prophezeiung vom Ende der Malerei erfüllte sich damals
jedoch ebenso wenig wie in den 60er Jahren, als die Gruppe ZERO mit
Heinz Mack, Otto Piene und Günther Ücker in ihren Lichtarbeiten die
“Klarheit der reinen Farbe und der dynamischen Lichtschwingungen im
Raum” zur Anschauung bringen wollten. Mit dem Ende der Avantgarden
und einer neuen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen kam es in den 90er
Jahren dann eher zu individuellen Lösungen, die jedoch auch bei Regine
Schumann über einen Reduktionismus führten: zunehmende Monochromie,
Ausstieg aus dem Bild, Schwarz als Farbe in ihrer ersten wichtigen
Raumarbeit. An diesem Punkt der Werkentwicklung lag es nahe, mit dem
Licht zu experimentieren.

Zumal Kunstlicht besitzt zwei Eigenschaften, die für neue
Raumerfahrungen des Betrachters von großer Bedeutung sind. Als
immaterielles Medium definiert es variable Hellräume und öffnet sie für
Bewegungen, die der Betrachter bestimmt. Dies gilt insbesondere für den
Dunkelraum, in dem Raumgrenzen aufgehoben scheinen, Distanzen
variabel werden und die Wahrnehmung der Objekte immer wieder neu
fokussiert werden muss. Und: Das Kunstlicht generiert Farben, sei es als
Farblicht, wie in den Neonarbeiten von Maurizo Nannucci, Chryssa, Keith
Sonnier und vielen anderen, sei es als Beleuchtungslicht auf
fluoreszierenden, reflektierenden oder einfach nur Schatten werfenden
Gegenständen wie in Arbeiten von Christina Kubisch, Olafur Eliasson oder
Christian Boltanski. Regine Schumann entscheidet sich folgerichtig für das
Beleuchten von Objekten, weil sie sich Materialwahl und eine
Gestaltungsfreiheit der Formen im Raum erhalten will. Mit diesem Ansatz
arbeitet sie ab Mitte der 90er Jahre – eingebunden in eine erneute und bis
heute anhaltende Auseinandersetzung der KünstlerInnen mit dem Medium
Licht – an einem eigenständigen Werk, das der Farbe verpflichtet ist, weil
es aus der Malerei entwickelt wurde.

Insbesondere die in situ-Arbeiten zeigen früh eine Qualität, die für die Hell-
Dunkel-Zustände der Objekte wichtig ist. Lichtkunstwerke, die eine Tag-
und eine Nachtansicht haben, müssen unter Tageslicht auch als Objekte im
Raum bestehen. In Form, Größe und Material müssen sie, wie jede
Installation oder Architektur bezogene Arbeit, an ihrem Ort mit diesem in ein
Verhältnis gesetzt sein. So korrespondieren die Arbeiten “In Farbe” und
“Tokioballs” von 2000 im Foyer des Converium in Zürich mit der
aufsteigenden Treppe und der Reihe der Fahrstühle sowie in der Addition
von Rundformen kontrapunktisch mit den rechten Winkeln der
funktionalistischen Architektur. Auch im Entwurf “Flying Circles III” von 2005
für das Foyer des Waterings Veld College in den Haag von Vera
Yanovshtchinsky Architekten. Wenngleich in allen Tag/Nacht-Arbeiten die
mit Hilfe von Schwarzlicht erreichte Farberscheinung im Dunkelraum
ungleich spektakulärer ist – erst der Vergleich beider Zuständ ermöglicht
die unmittelbare Erfahrung von Zeit und Raum. Im Wechsel des Lichts
verändern sich die Farben und damit Erscheinung und Wirkung der
Bildobjekte. Diese Erfahrung ist nur einem Betrachter möglich, der
wiederkommen kann. Nun sind Lichtarbeiten oft zeitbasiert: Um eine der
Diaprojektionen von Mischa Kuball zu sehen, müssen wir vor den
Projektionen verweilen, um zu erleben, welche Sensationen ein
“Skywindow” James Turrell bereit hält, müssen wir vom Einbruch der
Dämmerung bis zur völligen Dunkelheit in dem Betrachterraum bleiben.
Den Tag/Nacht-Arbeiten von Regine Schumann kann man jederzeit
begegnen und dabei immer wieder neue Erfahrungen machen. “Architektur
wird auf drei Ebenen rezipiert: einer pragmatischen, einer ästhetischen und
einer affektiven. Wir erwarten von Bauwerken Benutzbarkeit, eine schöne
Gestalt und anregende Stimmungen.” Auf dieser Ebene ist das Licht “…
Generator jener Atmosphäre, Begehung von Bauwerken erleben.” Längst
sind auch bildende KünstlerInnen kompetent und zuständig für “anregende
Stimmungen” und provozieren mit ihren chronosensiblen Lichtwerken ein
Nachdenken über die Zeit und jenen Raum, in den ein Besucher zu
unterschiedlichen Hell- und Dunkelzeiten immer wieder zurückkommen
kann.

Es ist zu Recht herausgearbeitet und betont worden, dass es Regine
Schumann immer wieder schafft, ihre Lichtwerke “friedlich-kooperativ” in die
gegebene Architektur zu integrieren. Dies gelingt, weil die Künstlerin mit
minimalistischen Farbformen arbeitet, die auf die Architektur antworten und
weil diese Formen mit keiner anderen Bedeutung versehen sind als der, die
aus eben diesen Formen spricht. So kommt es – ähnlich wie bei der
Werkpräsentation der Arbeiten von Don Judd in der Chinati Foundation in
Marfa – zu einem gleichberechtigten Dialog zwischen Architektur und Kunst
(vorausgesetzt der Raum wird nicht nachträglich möbliert oder mit
zusätzlichen Beleuchtungskörpern versehen). Neben der minimalistischen
Formensprache, die Architektur und Kunst verbindet, sind es jedoch eher
die Differenzen, die das Atmosphärische dieser Räume ausmachen: die
anderen Materialien der Kunstwerke, ihr funktionsloses Leuchten, ihre
Farbfeldqualität. In der Auseinandersetzhung mit dem Raum findet Regine
Schumann oft Lösungen, die sich auch für autonome Arbeiten verwenden
und in diesen weiter entwickeln lassen – und umgekehrt. “Cardo” von 2001,
“Lumipoint” von 2002 oder “Digitalbox” von 2005 existieren als
Formerfindung sowohl Architektur bezogen wie autonom. Überblickt man
die “Lichtkunst aus Kunstlicht” der letzten 20 Jahre, so finden sich zwar
erstaunlich viele im öffentlichen und halböffentlichen Raum, denn die
allgemeine Akzeptanz von Lichtkunst ist hoch, aber viele andere Arbeiten
sind autonom und können an unterschiedlichen Orten installiert werden.
Unabhängig von Aufträgen entwickeln KünstlerInnen ihr Werk ständig
weiter, erproben neue Materialien und/oder – wie Regine Schumann – neue
Technologien und sie tun dies experimentell und oft unaufwendig. Bei
Regine Schumann kommt noch etwas Entscheidendes hinzu. Sie hat mit
ihren Lichtwerken den Raum entdeckt und findet kongeniale Lösungen für
eine Verbindung ihrer Kunst mit der gegebenen Architektur oder dem
Landschaftsraum. Zur Eröffnung der Ausstellung im Museum Ritter wird sie
die temporäre Installation „Glow Worms“ realisieren, die aus 300
handelsüblichen Diodenlichtern besteht. Aus der Ferne betrachtet werden
die blinkenden Lichter in der Nacht wirklich wie rote Glühwürmchen
aussehen, die einige Zentimeter über der Wiese schweben und leuchten.

Neuere Arbeiten wie „Dreamteam“ oder „Flyings“ zeigen den souveränen
Umgang der Künstlerin mit dem Innenraum, mit seinen Proportionen, seiner
Formensprache, seiner Beleuchtung. Aber Regine Schumann kommt vom
Bild. Sie denkt also nicht nur in Kategorien von Raum und Zeit, sondern
nach wie vor auch in den Kategorien des Bildes. Dieses Sowohl als Auch
lässt sich schon in den ersten Jahren ihrer Auseinandersetzung mit dem
Licht als Material erkennen und festmachen. 1998/99 entwickelt sie die
Serie “Doppelblende“, übereinander liegende perforierte Bildträger aus
fluoreszierendem Acrylglas, deren Öffnungen sich durch die Bewegung der
Betrachter verschieben und so die Formen auf dem Bild verändern. Diese
Erfindung überträgt Regine Schumann später in den Raum der Architektur:
In „Flying Cirles II“ von 2005/06 oder kürzlich in der Installation „Thoughts“
für das Foyer des Hamburger Büros von Freshfields Bruckhaus Deringer
bilden runde Acrylscheiben die Doppelblende und die Wand ist der
Bildgrund, auf dem sich die Formen verschieben und immer neu justiert
werden müssen, wie bewegliche Ziele vor der Kamera eines Fotografen.
Auch Regine Schumann wird weiter auf der Suche bleiben nach
Bildlösungen, die uns überraschen und dadurch in Bewegung halten.




          Text als PDF-Download >>

                                                                                                                                                                    « zurück