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Michael Schwarz 
          molitor&kuzmin – Extension – Model 1 : 1
          
          
          Vor Jahren waren Lichtkunstwerke mit weißen oder farbigen Leucht
          stoffröhren entweder eingeschaltet oder sie waren nicht eingeschaltet. 
          Modulationen, ein Verschwinden und Wiedererscheinen von Lichtmengen 
          oder gar ein Wandern des Lichts innerhalb der Leuchtstoffröhren war 
          technisch nicht möglich und stand deshalb für die Konzepte und künstler-
          ischen Strategien von Dan Flavin, John Armleder, Gerhard Merz, Waltraut 
          Cooper und anderen nicht zur Verfügung. Gerade in ihren genormten Größen 
          und stabilen Farbwerten entsprachen die Leuchtstoffröhren jedoch exakt 
          den minimalistischen Konzepten dieser Künstler.
          
molitor&kuzmin beginnen ihr gemeinsames Werk als Lichtkünstler mit 
einer Arbeit von großer Symbolkraft: 1997 entsteht »Container«, gleichsam 
als Abgesang auf dieses genormte Leuchtmittel – um es in den folgenden Jahren 
durch innovative Ergänzungen ihrem künstlerischen Werk anzupassen und technisch 
weiter zu entwickeln. 20 Jahre später zeigen sie »Extension – Model 1 : 1« auf 
der Ausstellung BRIGHT im Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna als eine 
zeitbasierte Arbeit, in der sich die Leuchtstoffröhre als ein flexibles, viel-
fältig einsetzbares Leuchtmittel präsentiert. Schnellstarter erlauben das rasche 
und fast geräuschlose An- und Abschalten der Röhren, durch eine spezielle, von 
molitor&kuzmin entwickelte Steuerung wandert ein segmentiertes Licht in den senk-
recht angebrachten Röhren von unten nach oben. Gleichzeitig springen die an dem 
diagonalen Raumkörper befestigten Leuchtstoffröhren unregelmäßig, in immer anderen 
Konstellationen an, um nach einer gewissen Zeit wieder auszugehen – während das 
Licht in den senkrechten Röhren weiter aufwärts wandert. In diesen Phasen relativer 
Dunkelheit, wenn die strahlend weißen Leuchtstoffröhren des Raumkörpers ausgeschaltet 
sind, sprich John Cage über »Silence«, von molitor&kuzmin ausgewählte Passagen aus 
einem Interview von 1991: »... what we call music, it seems to me that someone is 
talking. And talking about his feelings or about his ideas« lautet eine Passage.
Als Skulptur besteht »Extension – Model 1 : 1 aus zwei aufeinander bezogenen Körpern, 
dem statischen, aus horizontalen und vertikalen Stangen montierten Gerüst und dem in 
dieses eingehängte diagonale Segment einer offenen Röhre. In der strahlenförmigen An-
ordnung der Stangen mit den an ihnen befestigten Leuchtstoffröhren, vor allem aber in 
der Orientierung nach oben, steht dieser Körper für die Dynamik der Skulptur, für ihre 
Erweiterung in den Raum, für eine mögliche Beschleunigung: Extension. Die Künstler ver-
stehen das Modell als ein work in progress, das in späteren Ausstellungen verändert 
werden kann. Entfernt erinnert die Skulptur an »Das Denkmal der III. Internationale«, 
1919/20 von Wladimir Tatlin – auch dieses ein Modell, allerdings im Maßstab 1 : 50. 
Wäre es gebaut worden, hätte der Turm 400 m diagonal in den Himmel geragt und wäre mit 
rotierenden Glaszylindern als Versammlungsräumen ausgestattet worden: kurz vor Gründung 
der Sowjetunion eine wahrhaft visionäre Architektur. Die Lichtskulptur von molitor&kuzmin 
verweist im Maßstab 1 : 1 nur auf sich selbst und zieht ihre Dynamik aus der diagonalen 
Anlage der aufragenden Zylinders und den wandernden Sequenzen des Lichts. Dieses geht 
versetzt an unterschiedlichen Stellen des Raumkörpers an und vermittelt den Eindruck 
großer Energie, die sich entladen könnte, um in Bewegung umgesetzt zu werden. Fast 
scheint es, als würde man einen Start hören. Für John Cage war Musik alles, was uns 
umgibt und zu hören ist: Gespräche, Wind, Wellen, Verkehr, Geräusche aller Art – und 
eine Dynamik hat. In diesem Sinne begleiten die Interviewpassagen von John Cage die 
Lichtskulptur »Extension – Model 1 : 1« in ihrer licht-zeitlichen Ausdehnung und 
Rhythmisierung, wenn es an anderer Stelle heißt: »But when I hear traffic, the sound 
of traffic here on sixth avenue for instance, I don't have the feeling that anyone is 
talking, I have the feeling that a sound is acting, and I love the activity of sound.« 
Immer war das Licht in den Arbeiten von molitor&kuzmin strahlend weiß, aber in der Regel 
statisch. Alles in einem Raum war diesem Licht ausgesetzt. In neueren Arbeiten wie 
»StromStromStrom« oder »endless« wandert das Licht, es entstehen temporäre Dunkelzonen 
und die Zeit wird zu einer neuen, zentralen Kategorie des Werkes. In »Extension – 
Model 1 : 1« kommt der Sound hinzu und durch die seitlich angebrachte Spiegelfolie ein 
virtueller Raum, in dem sich das Lichtobjekt mit seiner endlosen Abfolge aufscheinender 
und wieder erlöschender Leuchtstoffröhren vervielfältigt und gleichzeitig den Betrachter 
einbezieht.
© Michael Schwarz 2018
          
          
 
          
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