Texte | Prof. Dr. Michael Schwarz | Kunsthistoriker

 

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Michael Schwarz
Mischa Kuball – Laudatio aus Anlass der Verleihung des Deutschen Lichtkunstpreises 2016


.... wir waren gespannt, wie es weitergehen würde mit dem Deutschen Lichtkunstpreis nach der Vergabe an Otto Piene, den 86jährigen unbestritten Doyen der Lichtkunst, Mitbegründer der Gruppe ZERO, Direktor des Center for Advanced Visual Studies am MIT in Boston, wichtigen Werken in aller Welt, Ausstellungen in vielen großen Museen, zuletzt in der Nationalgalerie Berlin. Die Maßstäbe jedenfalls waren gesetzt. Doch der Stratege und Überredungskünstler Robert Simon hatte längst weiter geplant, denn – lieber Herr Simon – Sie wussten, jede Künstlergeneration hat ihren eigenen bildmächtigen Anführer und kamen deshalb zwei Jahre später fast zwangsläufig auf Mischa Kuball, den 56jährigen begnadeten Kommunikator und Vermittler seiner Werkideen, den fordernden und fördernden Hochschullehrer, der seine Studenten früh mit der Wirklichkeit des Ausstellungsbetriebes konfrontiert, vor allem aber den Regisseur des Lichts, dessen Projekte bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückgehen und in zahlreichen Einzelkatalogen, bis 2007 auch in der kapitalen Publikation »Mischa Kuball .... in progress«, hrsg. vom renommierten Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe aus Anlass einer weltweiten Ausstellungstournee seiner Werke dokumentiert worden sind. Eindrucksvoll!

 

Aber was ist es eigentlich, was dieses Werk auszeichnet, es unterscheidet von vielen Lichtarbeiten, die in wachsender Zahl auf den Licht-Festivals und anderswo zum Einsatz kommen? Was ist es, was das Werk Mischa Kuballs so zeitgenössisch macht? Es ist der Bezug zum Menschen, der nicht nur betrachten, sondern handeln darf, der einbezogen wird. Dazu ein frühes Beispiel: 1988 hat Mischa Kuball mit dem Vorstand der Mannesmann AG darüber verhandelt, die Bürobeleuchtung des Mannesmann-Hochhauses so zu schalten, das einfache, weithin sichtbare Megazeichen entstehen, die für eine Woche immer gleich bleiben sollten. Der Vorstand war rasch überzeugt, sah er sich doch in der Tradition und Verantwortung eines Unternehmens, das schon in den 60er Jahren große Projekte der ZERO-Gruppe (hier begegnen wir Otto Piene) gefördert hatte. Die eigentliche Leistung im Sinne des Projekts bestand jedoch darin, die Nutzer der Büroräume zur Mitarbeit zu bewegen. Denn sie mussten das Licht abends ja anschalten beziehungsweise ausgeschaltet lassen, obwohl sie unter Umständen noch weiter arbeiten wollten. Man sprach miteinander, man überzeugte sich gegenseitig, man erinnerte einander, man erzählte Freunden und Bekannten von diesen Megazeichen ihres Hochhauses. Über zwei Jahre setzte Mischa Kuball einen Prozess in Gang, der sich mit Begriffen wie Kommunikation, Solidarität, Identifikation und (im Sinne des Vorstands) mit  Corporate Identity beschreiben lässt. Obwohl es verlockend gewesen wäre, hat Mischa Kuball selbst aus dieser außerordentlich erfolgreichen Projektidee für sein Werk kein Markenzeichen abgeleitet.

 

Diese Gefahr bestand für Mischa Kuball schon deshalb nicht, weil er seine Projektideen nie appliziert, sondern immer aus den besonderen Bedingungen des Ortes heraus entwickelt, aus der Nutzung eines Gebäudes, aus seiner Geschichte, der gegebenen Architektur oder aus dem Urbanen. Zu den wichtigsten Arbeiten seines umfangreichen Œuvres gehört zweifellos »Refrection House« von 1994 in der ehemaligen Synagoge von Stommeln, in der Nähe von Köln. Indem Mischa Kuball den säkularisierten Kirchenraum mit starken, auf die Fenster und die Lunette gerichteten Strahlern in ein gleißendes Licht tauchte, erinnerte er nicht nur an die Reichskristallnacht von 1938, in der über 1400 Synagogen brannten, sondern auch an die barbarische Gewalt gegen Ausländer in Mölln, Rostock und Hoyerswerda 1991. Heute würden wir an die über 500 Angriffe auf Flüchtlingsheime in Deutschland allein in den ersten neun Monaten 2015 denken. Aber das blendende Licht der 33.000 Lumen mahnte auch, als es im Frühjahr 1994 über zwei Monate die Anwohner blendete, durch Fenster und Türen drang und dort, wo es hintraf, das Leben erbarmungslos ausleuchtete, gleichsam öffentlich machte. Eine Erinnerungsarbeit, die Mischa Kuball durch dieses Projekt auslösen wollte, wurde kaum angenommen. Viele Bewohner von Stommeln verwiesen darauf, dass sich die jüdische Gemeinde doch schon 1933 aufgelöst und die Synagoge die Pogrome nur überstanden hätte, weil sie ein Bauer als Scheune und später als Viehstall nutzte bis die Stadt Pulheim das Gotteshaus 1983 erwarb, restaurierte und später für Projekte u.a. von Kounellis, Baselitz, Serra, Rebecca Horn zur Verfügung stellte.

 

1998, längst hatte sich Mischa Kuball auch international durchgesetzt, vertritt der Künstler Deutschland auf der Biennale von São Paulo mit einem dreiteiligen Projekt, von dem ich hier »privat light/public light« zeige – eine Arbeit, die erneut den Zusammenhang von Kontext und Bedeutung untersucht und sichtbar macht. Mischa Kuball bittet 100 Personen/Familien aus São Paulo eine Lampe aus ihrem Wohnbereich gegen eine von Kuball entwickelte Standardleuchte auszutauschen. Die eingetauschten, privaten Lampen waren auf der Biennale inszeniert und öffentlich ausgestellt. Dort leuchteten sie und begannen zu wirken, indem sie Menschen zusammenbrachten, die sich sonst nie begegnet wären, indem sie Geschichten erzählten, die sonst nie erzählt worden wären, indem sie etwas erhellten und aufscheinen ließen, was sonst im Dunkeln geblieben wäre.

Bei einigen neueren Arbeiten für den öffentlichen Raum, und mit ihnen geht meine kleine Laudatio zu Ende, kommt es oft erst im Nachhinein zu einem Gespräch über das Werk. Natürlich wird es mit den Auftraggebern und den unmittelbar Beteiligten diskutiert. Aber dann ist es erst einmal da und leuchtet. Weil es sich aber auf einen bekannten und oft belebten Ort bezieht, sprechen die Menschen darüber. Zum Beispiel über die pulsierenden Lichtstreifen (es sind weiße LED’s) seitlich und unterhalb der Shinmachi-Brücke in Tokuschima/Japan. Und sie erfahren, dass sich der Rhythmus des Lichts beziehen lässt auf die Musik der neu eröffneten Music Hall unweit der Brücke, ebenso wie auf die zahlreichen Musik-Events am Flussrufer während der Sommermonate. Und wenn ein Wind geht, entsteht auf der Wasseroberfläche noch eine zusätzliche Partitur. Das verstehen die Menschen, weil sie es sehen. Auch von daher ist die Kunst Michael Kuballs eine zutiefst demokratische, ja humanistischen Kunst.



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