Texte | Prof. Dr. Michael Schwarz | Kunsthistoriker

 

                                                                                                                                                                    « zurück

Michael Schwarz
INNOVATION_PARTIZIPATION_LICHT SEHEN
Lichtkunst im 21. Jahrhundert



In der Wahrnehmungslehre vergleicht die Schweinwerfermetapher die Selektionsfunktion unserer räumlich-visuellen Aufmerksamkeit mit einem Scheinwerfer, der willkürlich auf eine Landkarte gerichtet werden kann. Sie beschreibt weder Größe noch Qualität der beleuchteten Orte und nennt den Suchvorgang zudem auch noch willkürlich. Zwar steht der Scheinwerfer, der die Orte der Lichtkunst anstrahlt, für uns derzeit in Celle, aber willkürlich wird man die Auswahl der Positionen für die Ausstellung »Scheinwerfer. Lichtkunst in Deutschland im 21. Jahrhundert« nicht nennen können – wenngleich die Beschränkung auf Deutschland nur mit Blick auf eine fortzusetzende Beschäftigung, dann auch mit internationaler Beteiligung sinnvoll ist. Im Gegenteil: Acht Jahre nach der enzyklopädisch angelegten Ausstellung »Lichtkunst aus Kunstlicht« in Karlsruhe eine nationale Bestandsaufnahme in einer Zeit anhaltender Innovation auf dem Feld der Leuchtkörper und einer intensiven Diskussion über das Verhältnis von Kunst und Design/Event, über die zunehmende Lichtverschmutzung unserer Städte bis hin zu ökologischen Fragen im Zusammenhang der Energiewende zu versuchen, scheint gerechtfertigt – wenngleich auch diese Auswahl nur eine Momentaufnahme sein kann. Der Scheinwerfer wird weiter wandern und in Ausstellungen und Publikationen immer genauer die tragfähigen und wegweisenden Positionen anstrahlen, die für die internationale Lichtkunst des 21. Jahrhunderts von Bedeutung sind. Bei dieser Bewegung des Spotlights sollten die Leistungen der Pioniere des 20. Jahrhunderts nicht in den Schatten geraten, denn ohne das Werk von François Morellet, Otto Piene, Heinz Mack, Dan Flavin, Keith Sonnier, James Turrell und anderer Künstler hätte sich die Lichtkunst in den letzten 40 Jahren nicht derart rasant und ausdifferenziert entwickeln können. Gestützt wurde diese Dynamik nicht zuletzt durch eine Weiterentwicklung der Werkstoffe, Leuchtmittel und der Steuerungstechnik. Mit dem »Lichtraum« aus dem Jahre 2001 besitzt das Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon selbst ein hervorragendes Beispiel dieser technischen Entwicklung, denn der inzwischen mit modernster Technik ausgestattete lichtkinetische Projektionsraum geht zurück auf das zunächst handbetriebene, später »automatische Lichtballett«, das Otto Piene 1960 in der legendären Galerie Schmela und in seinem eigenen Atelier in Düsseldorf aufgeführt hat. Otto Piene ging es in diesem bahnbrechenden Werk um die Zusammenführung von Objektraum, den das Werk als mechanisches Objekt für sich beansprucht und Erfahrungsraum. Mit solchen technischen Neuerungen und künstlerischen Setzungen konnten sich Künstler wie Hans Kotter, Mischa Kuball, Jim Campbell oder Hartung & Trenz auseinandersetzen, um mit ihren Mitteln und einem erweiterten Fundus an lichttechnischem Material im 21. Jahrhundert neue Erfahrungen in diesem dunklen, von bewegtem Licht durchkreuzten Raum zu ermöglichen. Von Anfang an, seit dem »Licht-Raum-Modulator« von László Moholy-Nagy von 1930, ging es den Lichtkünstlern immer auch um eine Neubestimmung und Dynamisierung des Raumes. Und weil in den Black Boxes der Museen und Ausstellungshäuser die Raumgrenzen aufgehoben scheinen, erzwingen das Licht und die durch Licht erzeugten Formen eine unmittelbare Auseinandersetzung des Betrachters mit dem Werk. »Das Wichtigste ist die umfassende Raumerfüllung [...]. Dadurch gewinnt der Erlebende den Eindruck, der Mittelpunkt des Geschehens zu sein.«

Exkurs: Lichtkunst im öffentlichen Raum

Der öffentliche Lichtraum ist durch Architektur, Straßen, Plätze oder Grünanlagen immer ein schon definierter Raum. Jede künstlerische Arbeit mit Licht muss dort auf die spezifischen Bedingungen des gewählten Ortes abgestimmt sein, sie muss die Architektur, die Blickachsen, Verkehrsströme und vor allem das vorhandene Licht berücksichtigen, d.h. verändern oder einbeziehen. Im öffentlichen Raum ist »ein Betrachter nie im Mittelpunkt des Geschehens«, sondern immer nur Passant oder Teilnehmer an sich ständig verändernden Ereignissen und urbanen Situationen. In diesen hat die Lichtkunst, hat das einzelne Werk meist nur noch als Event eine Chance, als solches muss es größer sein als die Leuchtreklame, heller als die Platz- und Fassadenbeleuchtung und bewegter als das LED-Videodisplay in der Nachbarschaft. Laserlicht und Videomapping sind deshalb derzeit die Lichtformen, die in unseren nach wie vor durch ein enormes Beleuchtungsverlangen geprägten Städten gute Chance haben, überhaupt wahrgenommen zu werden. Dies wird sich erst dann ändern können, wenn durch geduldiges Verhandeln und auf der Grundlage von Lichtmasterplänen Kompromisse für einen Weniger an Licht und ein verträgliches Nebeneinander von Funktionslicht, Werbelicht, Bedeutungslicht und dem freien Licht künstlerischer Arbeiten gefunden worden sind.

Versucht man, die Felder zu benennen, auf denen sich die Lichtkunst in den nächsten Jahrzehnten verändern und weiterentwickeln wird, so würde ich drei Bereiche identifizieren: die künstlerisch-technische Innovation, Interaktion und Partizipation, Lichtkunst als Schule des Sehens.

Künstlerisch-technische Innovation. Wir befinden uns aktuell in einer Phase zahlreicher Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Leuchtmittel und Beleuchtungstechniken. LED’s (light emitting diode), OLED’s (organic light emitting diode), Digitalsteuerung und eine Software, die für jeweilige Lichtsituationen entwickelt werden kann, haben die Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten des Lichts enorm erweitert – aber gleichzeitig die Definitionshoheit darüber, was künstlerisch-gestalterisch geboten ist, stärker auf die Seite der Hersteller verschoben. Bei ihnen ist das Innovationsniveau hoch und die Forschungsleistung oft enorm. Doch klar ist auch: Beides führt noch zu keinem Werk, für die Gestaltung brauchen die Lichtplaner und Ingenieure den Designer, Künstler oder Architekten. Zusammenarbeit also ist geboten, wenn sie auch gelegentlich dazu führt, dass technische Neuerungen deutlich unterhalb ihrer Möglichkeiten genutzt werden. James Turrell hatte 2009 bei dem raumfüllenden Ganzfeld »Briget’s Bardo« im Kunstmuseum Wolfsburg mit Zumtobel, dem »international führenden Anbieter ganzheitlicher Lichtlösungen«, kooperiert. Das Unternhehmen hatte eine Lichtanlage bestehend aus 24 LED-Strahlern für den Erfahrungsraum und 250 LED-Linien für den Betrachterraum mit insgesamt 30.000 einzeln ansteuerbaren Dioden entwickelt und zur Festlegung der Choreografie vor Ort einige raffiniert changierende Sets programmiert. »Turrell entschied sich für einen vergleichsweise simplen, aber effektiven Ablauf: Ein blauer Raum wird innerhalb von acht Minuten zu einem roten Raum und retour.« Der Künstler nutzte das für Ganzfeld-Wirkungen entwickelte Programm aus der Forschungsabteilung des Herstellers nur soweit, wie es ihm innerhalb der eigenen künstlerischen Forschung über die Wirkung eines gleichförmigen Lichts im Betrachterraum geboten erschien. Im Verhältnis von Lichtplaner, Architekt und Lichtkünstler sollte dies eine stabile Maxime werden. Das eigene und einzelne künstlerische Werk muss Anspruch und Maßstab für den Einsatz der technischen Neuerungen bleiben, die uns auf dem Feld der Lichtkunst in den kommenden Jahren angeboten werden.

Angeboten werden sie ohnehin nur jenen, die den forschenden Unternehmen ein international anerkanntes Werk an die Seite stellen können, alle anderen werden solange warten müssen, bis die technischen Neuerungen auf dem Markt und dort bezahlbar geworden sind. Oder sie verlassen sich auf eigene Innovationen und verfolgen mit ihnen künstlerische Strategien, die ohne ein Übermaß an Technik auskommen. Boris Petrovsky verbindet in seiner Celler Arbeit »Der Sublimierungswolf« von 2013 Neonröhren, LED’s, Laufschriften, Vorschaltgeräte, Transformatoren und vieles mehr – alles vor langer Zeit entwickelt aber noch funktionstüchtig – zu einem Sinnbild unserer vernetzten, codierten, durch Zeichen verrätselten Welt. Auch die RaumZeitPiraten entwerfen »ephemere Modelle von unperfekten Mensch-Maschine-Gegenwelten«, indem sie alte wie hochmoderne Technologien innovativ zusammenführen und damit »berechnete Realitäten oder wissenschaftliche Genauigkeit in Frage stellen.«

Partizipation/Interaktion. Eine einfache, wenn auch einseitige Beteiligung des Betrachters an einem Lichtobjekt besteht darin, es einzuschalten. Wenn es dann leuchtet, können sich allein aus der Bewegung des Betrachters weitere Veränderungen des Werkes ergeben: Brechung der Lichtkegel bei Anthony McCall, Farbverschiebungen bei Helga Griffiths, Aufleuchten verschatteter Zonen bei Sebastian Hempel – weitere Beispiele ließen sich nennen. Die zu erreichenden Effekte sind in der Regel begrenzt, zwar partizipatorisch aber nicht interaktiv. Hier kommt es aber derzeit in der Lichtkunst zu einer ähnlichen Entwicklung wie beim interaktiven Fernsehen, bei dem der Zuschauer mit eigenen Beiträgen in das gezeigte Format eingreifen kann, z.B. über einen integrierten Rückkanal. Interaktionen mit Werken der Lichtkunst werden unmittelbar vor der Arbeit oder über unsere Smartphone möglich sein. Eine der ersten, über Mobilphone steuerbaren, interaktiven Lichtinstallationen war »Blinkenlight« der gleichnamigen Künstlergruppe 2001 am Haus des Lehrers in Berlin. 144 hinter den Fenstern des Hochhauses installierte Baustrahler bildeten ein Display, auf dem man alleine oder zu zweit das Computerspiel »Pong« spielen oder Liebesbotschaften, die so genannten »Blinkenlights Loveletters«, absetzen konnte. Wenn derartige Animationen nicht auf das Niveau einer beliebigen Spielkonsole im Kunstkontext absinken sollen, brauchen wir intelligente, offene, weiterentwickelbare Werke, mit denen oder über die wir uns austauschen können. Eine solche Arbeit hat Boris Petrovsky kürzlich im ZKM | Zentrum für Kunst- und Medientechnologie Karlsruhe realisiert. In die »Wünschelmatrix – You&Me-isms/Part 2« können die Besucher/Nutzer vor Ort oder über einen Remoteterminal auch von entfernteren Standpunkten Textbotschaften eingeben, mit dem Zeichenvorrat interagieren oder mit anderen kommunizieren. Es ist ein Lernspiel mit Zielsetzungen, das über das zweckfreie Spiel des homo ludens hinausgeht, es ist ein Spiel, das eindringt in den Zusammenhang von Sprache und Wirklichkeit und Hinweise gibt auf die Konstitution von Wirklichkeit durch Sprache.

Licht sehen. Zeitparallel mit den lichtkinetischen Positionen und solchen partizipatorischen Ansätzen hat sich die Lichtkunst immer auch mit ihrem eigenen Material, dem Licht, beschäftigt. Während ZERO mit Otto Piene und Heinz Mack in ihren Lichtwerken Metaphern einer lichtdurchfluteten, besseren Welt sahen und an eine Überwindung der gesellschaftlichen Widersprüche durch Kunst glaubten, näherten sich die amerikanischen Künstler dem Licht als Forscher. Die Arbeiten von James Turrell, Robert Irwin, Dan Flavin und Douglas Wheeler aus der Zeit um 1970 sind selbstreferentiell und untersuchen das Licht als Material, dessen physikalisch-optische Eigenschaften, die Relation von Licht und Raum sowie dessen Präsenz im Leuchtkörper. Turrell wird später ebenso lapidar wie programmatisch formulieren: »My works are about light in the sense that light is present and there; the work is made of light. It’s not about light or a record of it, but it is light.«

Weitere Grundlagen für die Gestaltung, Perzeption und Wirkung des Lichts durch die Arbeiten selbst werden in Europa gelegt. Jakob Mattner hat in seinen Werken der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts das Zusammenspiel von Licht und Schatten im Raum behandelt. Seine Werkgruppe »Zwielicht« und die Percussion-Serie entstanden im Wissen um die optischen Gesetze von Lichtbrechung, Lichtbeugung, Lichtspiegelung, blieben aber immer spielerisch-experimentell und sind – sieht man sie heute erneut aufgebaut und in einen Vergleich mit anderen, hochtechnischen Lichtkunstwerken gesetzt – von einer unvergleichlichen Poesie des Ephemeren, Vieldeutigen, Fragilen. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Qualität als Antwort auf Perfektion und Hightech im fortschreitenden 21. Jahrhundert an Bedeutung gewinnen wird (gewiss in anderer Form und mit anderen Implikationen). Neben Jakob Mattner war es in der Zeit dann vor allem Michel Verjux, dessen puristische Projektionen in Kreis- oder Rechteckform für die Lichtkunst die Kontextfragen thematisierten: »Mit seinen eigenen Mitteln kann das Kunstwerk die existentielle Situation, in der wir uns befinden, veranschaulichen, [... wenn] die Erweiterung des Werkes auf ein Umfeld [ ... erreicht ist].« Ein solches Werk, das nur aus Licht besteht, lässt uns dieses Licht in einem Raum sehen, der sich mit dem Werk verändert, wenn wir uns in ihm bewegen. 20 Jahre später und auf der Höhe unserer Zeit ist dies die entscheidende Qualität in der spektakulären Arbeit »Your Rainbow Panorama« des Studio Ólafur Elíasson auf dem Dach des ARoS Aarhus Kunstmuseum. Der Besucher sieht unter sich eine Stadt in immer anderen Farben leuchten, dunkler werden oder ganz verschwinden. Sein Standort und die Blickrichtung auf einer Sekante bestimmen Helligkeit, Farblicht und Reflexionsgrad auf und hinter den sich überlagernden, farbigen Gläsern des Regenbogens. In diesem Rundgang wird der Besucher zum Akteur, zu einem Betrachter, der sich sehen, sich bewegen, anderen begegnen sieht und dabei eine Umgebung erlebt, die er so noch nie gesehen hat. Zwischen diesen beiden Erfahrungswelten, einer Schule des Sehens und dem Jahrmarkt, wird sich die Lichtkunst des 21. Jahrhunderts vermutlich entwickeln.





          Text als PDF-Download >>

                                                                                                                                                                    « zurück