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Michael Schwarz 
          Christoph Dahlhausen – Raum, Skulptur und Licht 
          
          
          Seit Alberto Giacometti behaupten wir, Skulpturen schaffen erst den Raum, 
          in dem sie stehen und auf uns wirken: »Jede Skulptur, die vom Raum ausgeht, 
          als existiere er, ist falsch, es gibt nur die Illusion von Raum.«  Die Frage
          bleibt, gilt dieses Axiom nur für Plastiken mit einer vibrierenden Oberfläche, 
          in die sich Licht und Schatten eingraben und brauchen wir für die Erfahrung 
          eines Raums, der durch die Skulptur entsteht, vielleicht sogar die figürliche 
          Plastik als Identifikationsfolie oder schafft sich jedes Objekt seinen Raum, 
          der dann zum Raum des Betrachters wird? Für die Lichtarbeiten von Christoph 
          Dahlhausen ist der Raum eine zentrale Kategorie, deshalb muss zunächst 
          geklärt werden, wie der Künstler ihm begegnet, wenn er beginnt, seine 
          Arbeiten einzurichten. Schon an seiner Arbeitsweise, sich anhaltend und 
          konzentriert auf gegebene Ausstellungs- oder Außenräume einzulassen, ist 
          zu erkennen: leer sind sie auch für ihn zunächst nur eine Illusion. Gleich-
          wohl bleiben sie definiert, haben Abmessungen, zeigen Materialien, sind 
          beleuchtet. Aber in der Regel sprechen sie nicht, jedenfalls nicht laut, 
          sondern dienen als möglichst neutrales Dispositiv der Präsentation von Kunst.
          
          In der Werkgruppe der Lichtarbeiten erkenne ich bei Christoph Dahlhausen drei 
          Modi, mit einem angebotenen Raum umzugehen: autonom wie mit »Blue U Channel 
          Light« von 2010, das den Raum so, wie er ist, akzeptiert, in situ wie »Light 
          and Planes« von 2009, das auf eine Besonderheit des Raumes jenseits seiner 
          Funktionalität reagiert und  konstruktiv/dekonstruktiv bei Arbeiten, die im 
          Sinne Giacomettis einen Raum schaffen, den es vorher so nicht gab; gleichsam 
          einen Raum im Raum. Dies ist mit Abstand die größte Gruppe und soll deshalb 
          ausführlicher besprochen werden. Als Beispiel und stellvertretend für alle 
          hier aufgeführten Arbeiten der Gruppe »Stabilizing Light« behandle ich die 
          Intervention im großen Ausstellungsraum des Kunstmuseums Ahlen von 2017. Mit 
          den genormten Elementen eines System-Gerüsts hatte Christoph Dahlhausen dort 
          eine Raumzeichnung in den Hauptsaal des Museums gelegt.  Die Wände waren weit-
          gehend verstellt und ließen nur gelegentlich (gerahmte) Blicke auf kleinere 
          Wandarbeiten zu, das Oberlicht wurde gänzlich ignoriert und blieb auch abends 
          ausgeschaltet. Dafür strebte die Gerüstzeichnung zum Licht des westlichen der 
          beiden Fensterschlitze in der dem Garten zugewandten Seite des Saales. Auch 
          das Gerüst selbst war defunktionalisiert, denn weder rüstete es etwas ein, 
          um das Eingerüstete dann zu bearbeiten, noch schien es mehr tragen zu können 
          als sich selbst – und eben das Licht. Die eigentliche und einzige Bestimmung 
          dieses dekonstruierten Gerüsts war es, dem Licht einen Ort zu geben. Damit 
          kommentierte das Werk eine wesentliche Eigenschaft des Lichts, nämlich seine 
          Unbeständigkeit, seine Abhängigkeit vom Umgebungslicht und seine Veränderbarkeit. 
          Diese fragile Konstruktion monumentalisierte mit unerwarteter Selbstver-
          ständlichkeit etwas sehr Flüchtiges und Instabiles, nämlich das Licht, dass 
          die Leuchtstoffröhren gut sichtbar auch am Tage abgaben.  In der Werkgruppe 
          »Stabilizing Light« ist eine künstlerische Strategie in drei Schritten zu 
          erkennen. Gegeben ist zunächst der gewählte Raum, diesen destabilisiert der 
          Künstler mit einer Gerüstskulptur, um ihn abschließend mit der durch-
          komponierten Anordnung blauer Leuchtstoffröhren in ein neues Gleichgewicht 
          zu bringen. Dieser Prozess lässt sich nacherleben, wenn man bis zum Einbruch 
          der Dunkelheit wartet und dann sieht wie die Konturen des Raumes im blauen 
          Licht unscharf werden.
          Kunstwerke sind nie geschichts- oder voraussetzungslos. Entweder lassen sie 
          sich auf frühere Werke des Künstlers/der Künstlerin beziehen und haben aus 
          diesen bestimmte Ansätze weiterentwickelt oder sie reflektieren zurückliegende 
          Diskurse. Die Werkgruppe »Stabilizing Light« steht ebenso eindeutig wie eigen-
          ständig in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Fragen der Ortsspezifik, 
          die in den 90er Jahren auch Institutionskritik, politische und ökonomische 
          Kontextfragen sowie die Suche nach der eigenen Identität umfassten. Bezogen 
          auf den Raum, um den es hier geht, hat Ayşe Erkmen dies umfassend formuliert: 
          »Ich interessiere mich für die bauliche Konstruktion von Orten, die tragenden 
          Strukturen von Ausstellungsräumen, die Dinge im Hintergrund, Accessoires, 
          Raumproportionen [...] alles, das dazu beiträgt, ein Kunstwerk bestmöglich 
          zu präsentieren [...] Leute, die in den Büros arbeiten, [...] räumliche 
          Grenzen, wie verhalten und bewegen sich Menschen im Raum, [...] Wände, 
          der Fußboden, die Decke, Fenster [...] die Umgebung, die in einen Raum 
          eingeschriebene Zeit sowie die Bedürfnisse, Wünsche, Entscheidungen, 
          Probleme des Künstlers – letztendlich hat all das mit Kunst zu tun.« 
          Zu den Lichtarbeiten, die sich konstruktiv/dekonstruktiv mit dem Raum 
          auseinandersetzen, gehören in gewisser Weise auch die Arbeiten »Broken 
          Light« von 2012, »Gestapelt Licht« von 2016 und mit Einschränkung »Double 
          Entry« von 2006. Diese Werke sind zwar in dem Sinne autonom, als sie ohne 
          weiteres in anderen Ausstellungssituationen gezeigt werden können, aber 
          durch den Einsatz von Spiegelfolie kommunizieren sie mit dem Raum und einem 
          sich bewegenden Betrachter. Dieser wird den Raum aus unterschiedlichen Per-
          spektiven und also als einen sich verändernden Raum wahrnehmen. Im Unter-
          schied zur Werkgruppe »Stabilizing Light«, in der der Raum als Ganzes 
          erfahrbar bleibt, fragmentiert der Spiegel ihn hier, bricht ihn und genau 
          dieser Erfahrung entspricht die Form der Lichtskulptur. Wie John Armleder, 
          molitor&kuzmin, Paul Schwer oder Volkhardt Kempter stört und unterläuft 
          Christian Dahlhausen mit diesen Arbeiten die Überwältigungskraft eines 
          Dan Flavin durch die Entscheidung für blaue Leuchtstoffröhren (anstelle 
          der weißen), durch ihre Platzierung auf dem Boden und indem er Kabel und 
          (bei »Gestapelt Licht«) Gerüststangen hinzufügt und über die Spiegelfolie 
          den Raum einbezieht. 
          Christoph Dahlhausen zeigt, wie man trotz großer Vorbilder im Bereich der 
          raumbezogenen Lichtskulptur eine eigenständige zeitgenössische Position 
          entwickeln und ausprägen kann. Er beginnt – wie dargelegt – mit einer 
          Befragung des Raums, setzt diesem ein eigenes, höchst instabiles Raumgefüge 
          entgegen und festigt dieses dann mit blauen Leuchtkörpern. Gleiches gilt für 
          die Wandarbeiten, die mit Gerüststangen auf der Wand angelegt werden und mit 
          Hilfe der dazu gesetzten Leuchtstoffröhren als vor der Wand schwebend erscheinen. 
          Auch die Lichtwirkung der abgelegten Leuchtstoffröhren gelingt nur durch eine 
          genaue Verwendung der Materialien (Licht, Stangen, Spiegelfolie) in einer 
          skulpturalen Form, die ihre Elemente und deren Verwendung offenlegt. Innerhalb 
          der Lichtkunst vertritt Christoph Dahlhausen damit eine analytische Position, 
          die Raumbezüge, Materialwerte und Formkontexte erkennbar hinterfragt und darstellt. 
          © Michael Schwarz 2018
          
          
          
          Quellen:
          
          Alberto Giacometti: Notizen (um 1949). In: Ders. Gestern, Flugsand. Schriften, 
          Zürich 2006, S. 197.
          
          Das frei verlaufende Gerüst erinnert an das in der Schweiz vorgeschriebene 
          »Baugespann«, das oft in einer scheinbar wilden Lattenkonstruktion zeigt, 
          wie der Anbau oder die Geschosserweiterung in ihren Volumina einmal aussehen 
          werden. Soweit die Nachbarn in der Lage sind, sich das geplante Gebäudevolumen 
          vorzustellen, können sie Einspruch erheben. 
          
          Geradezu reflexartig fällt in manchen Textbeiträgen über Werke der Lichtkunst, 
          in denen Leuchtstoffröhren verwendet werden, der Name Dan Flavin. Dabei wird 
          gerne übersehen, dass Dan Flavin in seinen »image – objects« die werkimmanente 
          Gleichzeitigkeit von Bild und Objekt verhandelt. Arbeiten der Werkgruppe »Stabilizing 
          Light« von Christoph Dahlhausen mit Arbeiten Dan Flavins zu vergleichen bleibt 
          unergiebig, weil diese immer die Wand brauchen, einschließlich der Ecken, die zwei 
          Wände bilden. Von dort aus erfüllt das weiße oder mehrfarbige Licht den Raum.
          
          Ayşe Erkmen, Gedanken zur Ortsspezifik. In: Skulptur Projekte 2017, Out of Place 
          https://2017.skulptur-projekte.de/#/De/Publications (Stand: 9. 8. 2018)
          
          Mit »o.T. (Leuchtstoffröhren)« von 1990 hat John Armleder früh an einer Überwindung 
          der auratischen Werke Dan Flavins gearbeitet. Auch die 2012 auf dem Lichtfestival 
          GLOW Eindhoven gezeigte Arbeit »container« von molitor&kuzmin von 1997 ist hier zu 
          nennen. Die vergleichbaren Werke von Paul Schwer und Volkhard Kempter sind etwa 
          zeitgleich mit den hier besprochenen Lichtarbeiten von Christoph Dahlhausen entstanden.
          
          
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